Geschichte der Frauenliste

Die Idee einer Wieslocher Frauenliste entstand beim 6. Wieslocher Frauenfrühstück

Wieslocher Rundschau vom 30.März 2000

6. Wieslocher Frauenfrühstück

EINE FRAU FÜR FRAUEN

(dob).51,7% der Wieslocher Wahlberechtigten sind Frauen! Ein unglaubliches Wählerpotential, welches, wenn es mobilisiert werden könnte, eine echte Macht bedeutet. Warum vertrauen die Frauen so wenig ihrem eigenen Geschlecht und sich selbst und überlassen in der Hoffnung auf die größere Kompetenz vieles, oft sogar die Entscheidung über sich selbst, dem Mann? Inge Ganter, eine tatkräftige Frau, die die Verantwortung für ihre Wünsche und Gefühle mutig in die eigenen Hände genommen hat, ist als Frauenbeauftragte der Stadt Bruchsal ihren Geschlechtsgenossinnen behilflich, eigene Wege zu finden. Sie war am vergangenen Sonntag beim 6. Wieslocher Frauenfrühstück zu Gast.

„Was macht eigentlich eine solche Frauenbeauftragte?“ fragen sich zur Zeit nicht nur die Rathausbediensteten, die, vom Gemeinderat verpflichtet, gerade das Stellenprofil einer Frauenbeauftragten erarbeiten. Auch die "Stadtfrauen", hervorgegangen aus dem VHS-Kurs "Unsere Stadt braucht Frauen", und Organisatorinnen des Frauenfrühstücks stellten sich dieser Frage und machten deren Beantwortung kurzerhand zum Thema ihres 6. Frauenfrühstücks.

Die Frauenbeauftragte Inge Ganter konnte Moderatorin Christa Morawietz an diesem Sonntagmorgen zum Frühstück in der Straußwirtschaft Wimmer begrüßen. Locker und interessant berichtete "die Frau für Frauen": Nach ihrem akademischen Studium der Sport- und Erziehungswissenschaften mit Magisterabschluss und ihrer Tätigkeit als Dozentin an der Fachschule für Sozialpädagogik, Fachbereich Heilerziehungspflege, Bewegungserziehung und Praxis- und Methodenlehre sei sie während der Familienpause („von Familien-"Urlaub" zu sprechen, ist eine Frechheit“ rückte Inge Ganter die Arbeit der Frau innerhalb der Familie zurecht,) in verschiedenen frauenpolitischen Gremien ehrenamtlich aktiv gewesen, vor allem habe sie sich der Entwicklung und dem Aufbau eines Mütterzentrums im Bodenseekreis gewidmet. Nicht zuletzt ihre Qualitäten, die sie durch diese ehrenamtlichen Tätigkeiten erworben hätte, habe sie in den Augen der Bruchsaler Stadtväter als Frauenbeauftragte qualifiziert und seien Voraussetzung für ihre Einstellung gewesen, so die 39-jährige kompetente Frauenvertreterin.

Als Witwe und Mutter zweier Kinder im Alter von 7 und 9 Jahren weiß sie aus eigener Biografie, welche Probleme die Frauen bewegen. So hat sie in Bruchsal bereits einige Veränderungen bewirkt. Sie ist nicht nur zuständig zur Weitergabe von Informationen nach Aufbereitung oder zur Vermittlung zwischen Bürgerinnen und Institutionen. Eine sehr wesentliche Aufgabe leistet Inge Ganter in der persönlichen Beratung von Frauen in Trennungssituationen oder mit Arbeitsplatzproblemen. Der Kontakt zu ihr wird gern wahrgenommen und hat sich als niederschwelliges Angebot etabliert.

Als auch für die Männer nützlich haben sich die Gründung eines Tageselternvereins und eines Ferienbetreuungsangebots, vergleichbar dem Kernzeitangebot der Schulen, erwiesen, die Inge Ganter auf den Weg brachte. Außerdem initiierte sie die Beseitigung von Angst-Räumen, durch helle Graffitti-Werke, vermehrte Frauenparkplätze und knüpfte viele Kontakte mit Optionen für die Zukunft. Die Frauenbeauftragte wirkt unter anderem mit im Arbeitskreis gegen Gewalt, im Arbeitskreis für die Sicherheit öffentlicher Räume, im Frauenforum zur lokalen Agenda 21, in regionalen und überregionalen Gremien, in parteilichen und überparteilichen Gremien. Um das alles leisten zu können, braucht sie größtmögliche Flexibilität. Diese bietet ihr sowohl der "Riesen-Katalog" ihres Aufgabenbereiches als auch das sehr freie Arbeitszeitmodell, nach dem sie arbeitet und das sie bemüht ist auch ihren Kolleginnen im Bruchsaler Rathaus zu erschließen. Zahlreiche Überstunden bei ihrem 19,5-Stunden-Deputat seien natürlich unumgänglich, bemerkt die engagierte Streiterin für Frauenrechte. Sie selbst hat ihre Kollegen und den Stadtrat von der Nützlichkeit ihrer Arbeit längst überzeugt. Eine Bestätigung ihres Wirkens erhielt sie in dem einhelligen Beschluss des Gemeinderates, ihre befristete in eine unbefristete Stelle umzuwandeln und ihr eine Halbtagsschreibkraft zur Verfügung zu stellen. Ihre Stellung im Rathaus ist einer Amtsleiterstelle vergleichbar. Alle Mitteilungen laufen automatisch über ihren Schreibtisch. „Wo“, fragt sich Inge Ganter, „landen alle diese frauenrelevanten Informationen in den Rathäusern, die keine Frauenbeauftragte beschäftigen?“ Alle Bundesländer Deutschlands haben längst in ihren Gemeindeordnungen die Verpflichtung zur Einstellung einer Frauenbeauftragten für Gemeinden über 10.000 Einwohner festgeschrieben. Für Inge Ganter ist es unverständlich, dass das "Musterländle" eine solche Regelung bisher "aussitzen" konnte.

Irmgard Keller, schon immer sehr engagiert für die Bedürfnisse von Müttern und Vätern von Kindern mit Behinderungen eingetreten, machte gleich, wie es ihre Art ist, "Nägel mit Köpfen", und initiierte eine Unterschriftenliste, um auch die letzten Zweifler (und Zweiflerinnen) von der Notwendigkeit einer Frauenbeauftragten in Wiesloch zu überzeugen.

Bemerkung von Karin Becker: Ursula Trost hat an diesem Vormittag auch eine Liste ausgelegt, in die sich Frauen eintragen konnten, die an der Gründung einer Frauenliste interessiert sind. Der Grundbaustein für die Wieslocher Frauenliste war somit gesetzt.


Rhein-Neckar-Zeitung 1./2. April 2000

SOLIDARITÄT MACHT DIE FRAUEN STARK

Beim Frauenfrühstück referierte die Bruchsaler Frauenbeauftragte Inge Ganter

Wiesloch. (pen) Zwischen knusprigen Baguettebrötchen, duftendem Kaffee und frischem Obst servieren die Wieslocher Stadtfrauen seit einigen Jahren Politik in kleinen Häppchen - mal pikant mit kabarettistischer Garnierung, mal global und mal lokal, aber stets leicht verdaulich und unter dem Gütezeichen von "Frauen für Frauen". In der Straußwirtschaft Wimmer drehte sich diesmal alles um das Thema "Frauenbeauftragte". Wiesloch hat noch keine - und wenn es nach einigen Schwarzmalern geht, wird es hier auch in hundert Jahren keine geben. Für andere, die die Welt etwas bunter sehen, ist das Ziel nicht mehr ganz so fern. In der letzten Haushaltsdebatte wurde zumindest schon mal die Erarbeitung eines Stellenprofils beschlossen - ein erster Schritt in die richtige Richtung, wie viele Frauen meinten.

Über Aufgabe, Funktion und Arbeitsweise einer Frauenbeauftragten bekamen sie an diesem Vormittag Informationen aus erster Hand. Eingeladen zum Frauenfrühstück war Inge Ganter, die seit 1997 Frauenbeauftragte in Bruchsal ist. Bevor sie ihre Stelle im Rathaus antrat, habe sie sich ehrenamtlich stark für Frauen engagiert und gemeinsam mit anderen Frauen ein Mütterzentrum aufgebaut. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, dass sich viel bewegen lässt. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten seien ihr dann bei der Bewerbung um die Stelle hilfreich gewesen. In Bruchsal wurde die Stelle der Frauenbeauftragten zwar nicht neu geschaffen, aber dennoch habe sie Pionierarbeit leisten müssen. Nachdem sie Strukturen gelegt hatte und erste Erfolge nachweisen konnte, gab sie im Gemeinderat einen Bericht über ihre Arbeit ab - nicht weil sie musste, sondern weil es ihr nach eigenen Worten "ein Bedürfnis war". Der Bericht wurde einstimmig akzeptiert und mit viel Lob quer durch die Fraktionen bedacht.

Als Frauenbeauftragte ist sie zunächst Ansprechpartnerin für die 300 Frauen in der Verwaltung. Sie ist für den Frauenförderplan und für die interne Fortbildung zuständig. Im Rathaus setzt sie sich unter anderem für flexible Arbeitszeitmodelle ein, die vor allem Frauen mit Kindern zugute kommen. Hierbei arbeitet sie eng mit dem Personalamt zusammen. Ihre Arbeit sieht sie gleichzeitig als Kontaktstelle zwischen Bürgerinnen und Verwaltung und Institutionen sowie zwischen Ministerien und Verwaltung. Um den Bürgerinnen zu helfen, kooperiert sie mit verschiedenen Vereinen und Institutionen. Die Vernetzung ist eines ihrer Hauptanliegen: „Ich versuche immer, andere mit ins Boot zu nehmen“, erklärt sie.

Solidarität macht stark - dies lebt und erlebt sie täglich. So ist Inge Ganter auch Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft von Frauenbeauftragten aus dem Landkreis, die versucht durch Informationsveranstaltungen und Broschüren auch die kleinen Gemeinden zu versorgen. Der daraus entstandene Arbeitskreis "Gewalt gegen Frauen" wurde vor kurzem sogar vom Ministerpräsidenten ausgezeichnet.

In Bruchsal pflege sie einen regelmäßigen Austausch mit den Kommunalpolitikerinnen und, so fügt sie lächelnd hinzu, „natürlich treffe ich mich auch mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinderates“.

Die Stelle der Frauenbeauftragten ist im Bruchsaler Rathaus direkt beim Oberbürgermeister angesiedelt - als Fachamt mit Stabsstellencharakter. Dies habe den Vorteil, dass sie wie ein Amtsleiter auch mit allen wichtigen Informationen direkt versorgt werde. Als Manko bezeichnet sie es, dass Baden-Württemberg als einziges Bundesland noch keine gesetzliche Verankerung der Frauenbeauftragten in der kommunalen Verwaltung habe. Dies liege vor allem daran, dass sich Kommunen und Landtag gegenseitig die Schuld zuschöben.

Persönlich kämpft sie vor allem für ein verändertes Bewusstsein bei den Frauen. Nur von der Basis aus könne etwas erreicht werden. Dabei setzt die engagierte Frauenbeauftragte auf das "Maulwurf-Prinzip", bei dem von allen Seiten gebaggert wird. Die Rede von Inge Ganter fand viel Beifall und die Anregungen wurden auch gleich in die Tat umgesetzt. Auf Anregung einer Zuhörerin wurde eine Unterschriftenliste erstellt, mit der dem Wieslocher Gemeinderat Druck gemacht werden soll.