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Wieslocher Woche vom 15.11.2007

„Wadenbeißen“ hat sich gelohnt


Offener Brief von Karin Becker an Frau Lidwina Göpferich

Liebe Frau Görpferich,

mein Einspruch gegen die nicht völlig korrekte OB-Stellen-Ausschreibung hat – ich habe es auch von Anfang an nicht anders erwartet - Erfolg gehabt. Ich kann also – entgegen Ihrer Behauptung - doch „Blumentöpfe gewinnen“! Sie dürfen mir gratulieren. Interessierte am ausgeschriebenen OB-Stuhl werden jetzt auf den verschlossenen Umschlag ihrer Bewerbung „Wahl der Oberbürgermeisterin/Wahl des Oberbürgermeisters“ schreiben. Frauen werden also bei einer möglichen Bewerbung um den bestbezahlten Stuhl im Rathaus nicht diskriminiert. OB-Bewerbungen von Frauen sind nun ohne Einschränkung sichtbar willkommen – in Wort und Schrift. So gehört es sich auch.

Dass Sie der Ansicht sind, dass den Frauen der von „außen gesteuerte Aufschrei nach Gleichberechtigung“ nicht viel gebracht hat, stimmt in vielerlei Hinsicht noch: Noch immer sind Frauen vielfach die Verliererinnen von Reformen. Hier darf ich nur an die vielen Bundesgerichts-Urteile betreffend ungerechter Familienpolitik erinnern, welche die Politik unverschämter Weise immer nur in Millimeterschritten umsetzt. Frauen, die z.B. ihre kleinen Kinder selbst erziehen wollen, werden immer noch bestraft, wenn sie nicht vorher schon gutes Geld im außerhäuslichen Erwerbsleben verdient haben. Gutverdienende werden heutzutage von der Politik immer noch viel zu oft bevorzugt - belohnt. Auf der anderen Seite wächst die moderne Sklavenarbeit in Form von 1 Euro-Jobs, 400 Euro-Jobs, Teilzeitjobs, die größtenteils von Frauen besetzt werden, oft vom Amt dazu gezwungen.

Alle - auch Sie - jammern, dass es so viele arme Kinder gibt. Doch steht nicht hinter jedem kleinen armen Kind auch eine arme Frau und sehr, sehr oft auch ein armer Mann? Dass die Schere zwischen arm und reich immer mehr auseinanderklafft, brauche ich nicht deutlicher ausführen. Das wissen wir alle. Frauen müssen nach den Richtlinien der EU inzwischen selber für sich sorgen, sie sollen außerhäuslich gegen Entgelt arbeiten. Kindererziehung will immer mehr der Staat übernehmen. Eine Frau die ins Frauenhaus flüchten muss und kein eigenes Einkommen hat, muss sich heutzutage bei der Agentur für Arbeit als arbeitslos melden – sie landet sofort in Hartz IV. Und wenn Sie einmal in eine Frauenberatungsstelle gehen und sich dort anhören, wie viel Nöte und Ängste bei vielen Frauen herrschen, dann bringen Sie sicherlich nicht mehr so leicht den Spruch über die Lippen bzw. in die Tasten: „Selbst ist die Frau, sie braucht keine Nachhilfe von außen!“

Im Grundgesetz steht, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Der Staat ist verpflichtet, bestehende Nachteile auszuräumen. Als Gemeinderätin der Frauenliste betrachte ich mich nicht als „außen“ stehend. Im Rathaus wird durch den Gemeinderat die örtliche Politik gemacht – mittels Anträgen und Beschlüssen. Das kennen Sie ja noch aus ihrer langjährigen Gemeinderatstätigkeit. Ich habe als Gemeinderätin lediglich meine Pflicht getan: Die Vorlage der Verwaltung gelesen und sie letztendlich in dem einen Punkt, der frauendiskriminierend formuliert war, korrigieren können. Darüber freue ich mich. Das Nachhaken – manche sagen auch Wadenbeißen – hat sich wieder einmal gelohnt.

Was das Verbrennen von Kerweschlumpeln betrifft , so bin ich ebenfalls sicher, dass sich auch hier in manchen Ortschaften bei der Umgangsweise mit der Kerweschlumpel etwas ändern wird. Nicht nur Gesetze – wie die Gemeindeordnung – auch „Bräuche von Ur-Ur-Urvätern“ dürfen bzw. sollten sich ändern, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind und Frauen als Sündenböcke oder „nicht der Rede oder Schrift wert“ hinstellen. Frauen verdienen es – wie Männer – geachtet und somit korrekt angesprochen zu werden.


Frauenlistige Grüße

Karin Becker, Gemeinderätin der Frauenliste




Offener Brief

OB-Wahlen anfechten?


Liebe Frau Göpferich,

unterstützen Sie bitte Ihre „Kollegin“ Karin Becker in diesem Fall, denn sie ist topp informiert was Sprache und Gleichstellung von Frau und Mann betrifft. Zwei Wissenschaftlerinnen der Universität Mannheim, Dagmar Stahlberg und Sabine Sczesny, haben in mehreren Studien nachgewiesen (Psychologische Rundschau 3/2001): Die Sprachform beeinflusst die Vorstellung über die beschriebene Person. Vereinfacht ausgesagt, wenn Frauen nicht ausdrücklich benannt werden, wird auch nicht an sie gedacht.

Unter geschlechtergerechten Gesichtspunkten ist es ein Skandal, dass es noch eine nicht sprachlich angepasste Gemeindeordnung gibt und die Zuständigen sollten sich sputen, das zu tun. SelbstbewußteFrauen könnten sonst „Oberbürgermeisterwahlen“ erfolgreich anfechten!

Ursula Trost, Initiatorin der Frauenliste Wiesloch


Anmerkung der Redaktion: Wieslochs selbstbewusste Frauen können bereits vor der Wahl der Oberbürgermeisterin bzw. des Oberbürgermeisters am 27. Januar einen ersten Sieg feiern. Wie der Stellenausschreibung in der Tageszeitung vom 12. November zu entnehmen ist, wurde der Text, wie von der streitbaren Stadträtin (Karin Becker) in öffentlicher Gemeinderatssitzung zunächst vergeblich gefordert, jetzt doch „gendergerecht“ entgegen der gültigen baden-württembergischen Gemeindeordnung formuliert. Die Bewerbungsunterlagen können jetzt bis 3. Januar in einem verschlossenen Umschlag mit der Aufschrift „Wahl der Oberbürgermeisterin/Wahl des Oberbürgermeisters“ eingereicht werden.